Die grüne CO 2 -Müllabfuhr

Darf ich mich vorstellen? Ich bin eine Flatter-Ulme. Seit 1825 stehe ich im Berliner Tiergarten. Ich bin etwa 29 Meter hoch. Ich habe Revolutionen, Kriege und Bundeskanzler überdauert. Besonders fit bin ich leider nicht, das Bezirksamt hat Faulstellen und Pilzbefall festgestellt. Trotzdem: Ich bin ein bisschen stolz, dass wir Flatter-Ulmen zum Baum des Jahres 2019 gekürt wurden. Und ich tue etwas für die Menschen. Ich verbessere die Luft und helfe dem Klima.

Denn Ulmen – wie Wälder überhaupt – sind Kohlenstoff-Speicher. Damit können sie wichtige Dienste leisten im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Also für das Ziel, das Aufheizen der Erde bei plus 2 Grad, besser 1,5 Grad, zu stoppen. Um zu wachsen, holen Bäume nämlich das Treibhausgas Kohlendioxid, kurz CO2, aus der Luft. Wie viel CO2 ein einzelner Baum gefiltert hat, ist nur sehr aufwendig zu ermitteln. Dabei spielen neben der Holzmenge auch Niederschlag, Durchschnittstemperatur und die CO2-Konzentration eine Rolle. Was den CO2-Ausstoß angeht, rückt der Wald als Klima-Retter immer mehr in den Fokus: als grüne Müllabfuhr. Denn wenn das Einsparen nicht klappt, muss das Gas rausgefiltert werden. Experten mahnen aber zur Vorsicht. Der Klima-Effekt von Bäumen sei regional unterschiedlich. Dennoch gilt: Der Blick auf den Wald ändert sich. Diese vier Menschen arbeiten daran mit ...



Die Suchmaschinenmanagerin

Wer etwas für Bäume tun will, muss nicht in den Wald gehen. Er kann auch googeln. Oder besser: ecosia-en. Wie bitte? Ecosia ist eine Web-Suchmaschine wie Google. Das Unternehmen unterstützt mit seinen Gewinnen Baumpflanzprojekte. Auf der Homepage läuft ein Zähler, alle 1,5 Sekunden wird ein neuer Baum gesetzt. Das sei natürlich ein Durchschnittswert, sagt Génica Schäfgen. Die 25-Jährige ist so etwas wie die Managerin von Ecosia in Deutschland. Schäfgen mag ihre Arbeit: „Ich war davor im Marketing, da ging es darum, Konsum anzutreiben. Und ich habe mich damit immer unwohler gefühlt“, erzählt sie. „Ich wollte in einer Firma arbeiten, an die ich glaube.“ Das Geschäft funktioniert so: Ecosia sucht nicht selbst, sondern zeigt Ergebnisse von Bing an, dem Google-Konkurrenten von Microsoft. Auch die Werbeanzeigen kommen über Bing. Für Klicks auf eine Anzeige bekommt Ecosia Geld. Es deckt laufende Kosten, davon werden Rücklagen gebildet und Baumprojekte unterstützt. Auch ohne Klicks auf Anzeigen helfen Suchanfragen Ecosia weiter, der Marktanteil wächst.

Die Pflanzungen liegen vor allem in Afrika, Süd- und Mittelamerika sowie Indonesien. Ecosia fördert etwa die Aufforstung der Sahel-Zone. Für fast 6,7 Millionen Euro seien mehr als 43 Millionen Bäume gepflanzt worden, heißt es auf der Website.



Der Waldbeauftragte

Mit 16 Jahren hat Cajus Julius Caesar – so heißt er wirklich – sein erstes Waldstück gekauft. Heute ist der Diplomforstingenieur 67 Jahre alt und Waldbeauftragter der Bundesregierung. Caesar will den Menschen die Bedeutung des Waldes bewusster machen: Ohne den Wald läge bei uns der CO2-Ausstoß 14 Prozent höher, weltweit bis zu 20 Prozent, sagt Caesar. Und dann sei da noch die Gesundheit: „Es ist erwiesen, dass die Menschen, die sich mehr im Wald aufhalten, länger gesund bleiben.“

Soll man mehr Wald sich selbst überlassen?

Die Forstwirtschaft bei uns nennt Caesar vorbildlich, weil nicht mehr Bäume gefällt würden, als nachwachsen. Umweltverbände fordern, viel mehr Wald sich selbst zu überlassen. Caesar dagegen wirbt für einen „integrativen“ Naturschutz innerhalb der Bewirtschaftung und verweist auf deren Vorteile für den Klimaschutz: „Wir müssen das Bauen mit Holz voranbringen. Wenn wir ein Gebäude aus Holz bauen statt aus mineralischen Produkten, entstehen 55 bis 60 Prozent weniger Emissionen.“



Die Klimaforscherin

Egal, durch welches Fenster Julia Pongratz aus ihrem Büro in München guckt, immer blickt sie in Baumkronen. Ein Hinweis auf ihr Forschungsfeld: den Wald als natürliches Kohlenstofflager. „An den Zusammenhängen von Vegetation und Klima forsche ich seit meiner Studentenzeit“, sagt die 38-jährige Professorin. Die Geografin berechnet, wie sich die CO2-Mengen in der Atmosphäre entwickeln, wenn Wälder abgeholzt oder aufgeforstet werden, wenn Ackerflächen zunehmen oder wenn sie schrumpfen. Mit ihren Teams füttert sie Großrechner sowohl mit historischen Daten als auch mit aktuellen Zahlen über Landnutzung. Dabei verknüpfen die Wissenschaftler die Angaben mit Zahlen, welche Mengen CO2 der Wald einlagert. Das Wissen der Experten reicht, um daraus Modelle für die Zukunft zu bauen: Wenn die Menschheit die Fläche der Wälder um einen bestimmten Wert aufpäppelt – um wie viel Grad könnte das den Temperaturanstieg abbremsen? Dafür müsste das Entwalden gestoppt werden, sagt Pongratz. Und: Es müssen Bäume gepflanzt, bestehende Wälder erhalten sowie die Forstwirtschaft optimiert werden.

Pongratz ließ in ihrem Klimamodell ein Szenario für Wiederaufforstung durchlaufen, das sie für plausibel hält. Demnach gäbe es noch genug Flächen für Landwirtschaft, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. „Wenn wir auf etwa acht Millionen Quadratkilometern Wald nachwachsen lassen würden, kriegen wir ein Minus beim Temperaturanstieg global von etwa 0,3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts hin“, sagt sie. Gleichzeitig ist ihr klar: Mehr Bäume alleine werden das Klima nicht retten. Das Einsparen von C02 aus Kohle, Öl und Gas bleibe ohne Alternative.



Der Waldmacher

Wäre Tony Rinaudo ein Pessimist, gäbe es heute Millionen Bäume weniger. „Scheitern ist für mich nur die Aufforderung, nach einem anderen Weg zu suchen“, sagt der 61-jährige Australier. Gerade hat er den Alternativen Nobelpreis erhalten für seine Methode, in der Sahel-Region ausgetrocknete Böden zu begrünen und aufzuforsten.

Angefangen als „Waldmacher“ hatte Rinaudo in den 80er Jahren in Niger, einem der ärmsten Länder der Erde. Dort sollte er für ein Missionsprojekt junge Bäume pflanzen. Die Masse davon ging schnell wieder ein – ein häufiges Problem bei Forstprogrammen.

Als der Agrarwissenschaftler gerade wieder mit einer Ladung von Setzlingen über Land fuhr, stoppte er. „Ich schaute in alle Richtungen, und es gab nur karges Land, und ich wusste, dass es Zeitverschwendung ist, Bäume zu pflanzen", erzählt der Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Vision.

Dann fielen ihm Pflanzen auf, die wie kleine Büsche aussahen. „Doch es waren keine Büsche, sondern Triebe von Bäumen, die abgeholzt worden waren und deren Wurzeln weiterlebten.“ Da kam ihm die Idee: mithilfe des Wegschneidens der Masse der Triebe aus den starken Zweigen neue Bäume großzuziehen. Oft gebe es im Boden noch Wurzelreste. Alleine in Niger seien so etwa 200 Millionen Bäume aus alten Wurzeln gewachsen, berichtet er. Auch in anderen Staaten wird seine Methode eingesetzt. Rinaudos nächstes Ziel: Er möchte, dass in 100 Ländern großflächig Wälder aufgeforstet werden.


Der Wald schrumpft

Knappvier Milliarden Hektarbetrug 2015 die weltweiteWaldfläche, gut30 Prozent der globalen Landfläche. Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor 8000 Jahren gab es noch mehr als6,2 Milliarden Hektar Wälder.

129 Millionen Hektar Waldgingen netto zwischen 1990 und 2015verloren, eine Fläche3,6-mal so groß wie Deutschland.

BrasilienundIndonesiengelten als die Länder mit dem größten Waldverlust.

Imdeutschen Waldstehen rund90 Milliarden Bäume. Knapp ein Drittel der Fläche des Landes ist mit Wald bedeckt.


Klima-Retter

Auf der Erde wird es wärmer, der CO2-Ausstoß steigt–trotz aller Appelle. Experten suchen Wege, um das Kohlendioxid aus der Luft einzufangen.Bäume könnten dabei einen erheblichen Beitrag leisten.Vier Wald-Fans zeigen, wie‘s gehen könnte:Bäume pflanzen und die Welt retten...


CO2-Depot

Experten gehen davon aus, dassin deutschen Wäldern1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichertsind.Jährlich werden über 17 Millionen Tonnen Kohlendioxid durch den Wald aus der Luft geholt.


Sozial, wehrhaft und Lernfähig

Sie spenden Schatten und Schutz vor Wolkenbrüchen und liefern Holz. Was über Bäume weniger bekannt ist: Sie können sich auch gegenseitig helfen, sich gegen Feinde wehren und auf eine gewisse Art sogar dazulernen: Der Förster Peter Wohlleben hat in seinem Buch„Das geheime Leben der Bäume“Erstaunliches über Bäume zusammengetragen. Drei Beispiele:

Bäume helfen sich: Wohlleben entdeckte einen uralten Baumrest, der von umstehenden Buchen am Leben erhalten wurde–sie pumpten über ihre Wurzeln Zuckerlösung in den Stumpf. Bäume unterstützen demnach kranke oder schwächelnde Nachbarn. Und sie verhindern damit, dass ihr Tod ein Loch ins Kronendach reißt. Das komme aber nur in natürlichen Wäldern vor, nicht in gepflanzten Forsten.

Bäume wehren sich: Schirmakazien in den Savannen Afrikas leiten Giftstoffe in ihre Blätter, wenn sie von Giraffen angeknabbert werden–und warnen über ein Gas andere Akazien in der Nähe, die ebenfalls Giftstoffe einlagern. Ulmen und Kiefern können über Lockstoffe Wespen anlocken, die ihre Eier in Raupen ablegen. Eichen leiten Gerbstoffe in Rinde und Blätter ein, um Insekten abzuschrecken.

Bäume lernen: Fichten können sich durch Durst-Phasen eine gewisse Sparsamkeit aneignen und teilen sich ihr Wasser im Boden auch dann noch besser ein, wenn wieder genug Feuchtigkeit vorhanden ist.

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